Nutzen-Kosten-Analyse der geplanten Verlängerung der Straßenbahnlinie 8 und die voraussichtlichen Folgekosten ihres Betriebs

Der renommierte Wissenschaftler und ÖPNV-Experte Prof. Dr. Jürgen Deiters, Professor für Wirtschaftsgeographie i.R. der Universität Osnabrück, hat sich angesichts der jüngst veröffentlichten annähernden Verdopplung der Investitionskosten für die Linie 8 erneut mit diesem Thema beschäftigt.

Einige Aspekte seiner Betrachtung, deren komplette Version zum Download zur Verfügung steht, sind hier kurz zusammengefasst.

Aktuell (Anfang 2022) sollen sich die Kosten für die ortsfeste Infrastruktur zur Verlängerung der Linie 8 auf der BTE-Trasse von Bremen-Huchting bis Weyhe-Leeste auf 64,6 Millionen Euro belaufen. Die Standardisierte Bewertung des Vorhabens sollte erneut aktualisiert werden. Gegen eine solche Vorgehensweise spricht, dass sich seit Anfang der 2000er Jahre das ÖPNV-Angebot zwischen Bremen und dem südlichen Umland deutlich verbessert hat; des Weiteren hat sich seitdem ein grundlegender Wandel im Mobilitäts- und Verkehrsverhalten vollzogen, der bei der Verkehrsprognose nicht unberücksichtigt bleiben darf. Bei Anwendung der neuen Verfahrensanleitung wird sich erweisen, ob es plausibel ist, durch Reaktivierung einer alten Bahnstrecke, deren Verlauf nicht den heutigen Verkehrsorientierungen entspricht, von einer Verdreifachung des Fahrgastaufkommens auszugehen. 

Angesichts dieser massiven Erhöhung der Investitionskosten seit 2009 erübrigt sich eigentlich eine Neubewertung des Vorhabens, was nur bestätigen würde, dass das Vorhaben vom Nachweis seiner Förderwürdigkeit weit entfernt ist.

Das Platzangebot der Linie 8 wird im Durchschnitt nur zu 13% in Anspruch genommen; das gilt für den gesamten Streckenabschnitt bis Bf. Stuhr. Im weiteren Verlauf der Strecke nehmen die Besetzungszahlen der Straßenbahn von Haltepunkt zu Haltepunkt ab, so dass die Platzkapazität der Straßenbahn in Brinkum noch zu 10-12% und in Weyhe zu 5% und weniger ausgelastet ist.

Im Gutachten über die Finanzierung von Leistungskosten der öffentlichen Mobilität (kurz: Leistungskostengutachten) der Roland Berger GmbH und des VDV von 2021 werden die Betriebskosten einer Straßenbahn für 2018 mit 13,40 € € pro Zug-km angegeben. Wendet man diesen Kostensatz auf die verlängerte Linie 8 an, würden sich die jährlichen Betriebskosten bei einer Verkehrsleistung von 427.400 Zug-km auf 5,73 Mio. € belaufen. Bezogen auf die abgeschätzten Betriebskosten der Straßenbahn ergibt sich daraus ein Kostendeckungsgrad von 20%. Der VDV-Erhebung 2018 zufolge erzielten ÖPNV-Unternehmen in Deutschland einen Kostendeckungsgrad von 74,4%.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Planung eine völlig veraltete Prognose zugrunde liegt. Unter den gegebenen Voraussetzungen  könnte die Straßenbahn das Fahrgastaufkommen entlang der BTE-Strecke bestenfalls verdoppeln, nicht aber verdreifachen. Eine nur schwach ausgelastete Straßenbahn erzeugt hohe Defizite, die sich im vorliegenden Fall auf 4 bis 5 Mio. € pro Jahr belaufen können. Bezieht man Ausgleichzahlungen in dieser Höhe auf die Anzahl der beförderten Personen, kommt man zu dem ernüchternden Resultat, dass jede Fahrt mit der Straßenbahn mit 4 € subventioniert wird.

Insgesamt kommt Prof Deiters zu einem niederschmetternden Urteil hinsichtlich des verkehrlichen Nutzens und der Förderwürdigkeit dieser Linie. Dies wird auch durch Vergleich mit der Linie 4 in Lilienthal erhärtet, der den Befürwortern der Linie 8 als Warnung dienen sollte.

22. Ordentliche Mitgliederversammlung: Nachweis der Wirtschaftlichkeit der Linie 8 muss allgemein zugänglich gemacht werden!

Auf der 22. Ordentlichen Mitgliederversammlung des Vereins „Aktiv“ lag der Schwerpunkt der Berichterstattung des Vorstands auf der kurzfristig anberaumten außerordentlichen Sitzung des Rates der Gemeinde Stuhr am 22.11.2023, auf der abweichend von den üblichen demokratischen Gepflogenheiten ohne die sonst übliche Vorberatung in einem Ausschuss ein Umsetzungs- und Finanzierungsbeschluss für die Linie 8 gefasst wurde.

Eine derartige Entscheidung lässt sich nur auf Basis nachprüfbarer Fakten treffen. Diese wurden abgesehen von der Kostenprognose und Förderkulisse in der Ratssitzung nicht vor gestellt. Einige ergänzende Informationen gab es lediglich auf kritische Nachfragen aus dem Publikum. Ansonsten überwog die seit Jahren gewohnte Geheimniskrämerei. Ein sehr unergiebiger Abend.

Ohne jegliche Diskussion bemühten die etablierten Parteien in ihren Statements nahezu alle Plattitüden und Halbwahrheiten zur Linie 8. Belastbare Fakten, die die Sinnhaftigkeit und Alternativlosigkeit dieser Linie belegen könnten, wurden nicht vorgetragen. Kritik gab es lediglich aus den Reihen der Besser-Fraktion. Die ohne Vorliegen des Wirtschaftlichkeitsnachweises erfolgte Zustimmung zur Beschlussvorlage durch die etablieren Parteien belegt erneut, dass die Planung der Linie 8 nie ergebnisoffen diskutiert wurde und es stets nur darum ging, in Stuhr um jeden Preis eine Straßenbahn fahren zu lassen. Nähere Einzelheiten lassen sich dem verlinkten Handout der Präsentation und dem  Protokoll des entsprechenden Tagesordnungspunktes entnehmen.

Weitere Punkte wie etwa geänderte Rahmenbedingungen, offene Punkte aus dem Planfeststellungsverfahren, Anforderungen an die Planung von Straßenbahnlinien sind ebenfalls im Handout aufgeführt.

Eine aktuelle Ausarbeitung von Prof. Deiters zur „Nutzen-Kosten-Analyse der geplanten Verlängerung der Straßenbahnlinie 8 und die voraussichtlichen Folgekosten ihres Betriebs“ wurde auf der Versammlung kurz vorgestellt und wird in Kürze hier veröffentlicht werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der Planung der Linie 8 weiterhin von Wunschdenken, Schönfärberei und Geheimniskrämerei geprägt ist. Für das weitere Vorgehen ist es unabdingbar, dass der Nachweis der Wirtschaftlichkeit schnellstmöglich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Bei einem Anstieg der Investitionskosten auf mehr als das zweieinhalbfache müssen die dort eingegangenen Parameter einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Die Kosten-Nutzen-Analyse muss auf der Grundlage der Verfahrensanleitung Version 2016 neu erstellt werden – mit aktuellen Verkehrsdaten sowie Kosten- und Wertansätzen. Auch Planänderungen und veränderte Ausgangsbedingungen (Istzustand des ÖPNV-Angebots) müssen berücksichtigt werden.

Zu den Formalien ist noch anzumerken, dass alle Vorstandsmitglieder einstimmig in ihren Ämtern bestätigt wurden.